2014, Ausflug, Geschichten, Kulinarik
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Von Plente, Knedl und Daba Geingelan

Die Osttiroler Küche hat eine sehr eigenständige Tradition. Mit viel Regionsbewusstsein gelingt es ihren Vertretern heute, die urtümliche Rustikalität und Naturverbundenheit weiterleben zu lassen.

Schmale, verwinkelte Täler sind es, die sich zwischen Großvenediger, Großglockner und Lienzer Dolomiten durch die Osttiroler Berge schlängeln, und jedes hat seine Besonderheiten. Die Speisen sind geprägt von der Höhenlage, der harten Arbeit in den Wäldern, aber auch von der Nähe zu Italien.
Auf den steilen Almen weideten immer schon mehr Schafe als Kühe, im Vergleich zu anderen Teilen Tirols ist hier die Käsekultur nicht sehr ausgeprägt. War es früher die Wolle der Schafe, so ist heute das zarte Fleisch der jungen Tiroler Berglämmer sehr begehrt.
Lange Zeit hatte sich die Ernährung nach der Natur zu richten, und die ist in dieser Höhe nun einmal nicht verschwenderisch. Statt Weizen kultivierte man robusteres Getreide wie Roggen, Hafer und Gerste. Da Brein, eine dicke Gerstensuppe war der Kräftespender für Holzknechte und hart arbeitende Bauern, an 365 Tagen stand sie am Speiseplan und wurde meist schon zur „Vormeß“, also zum ersten Frühstück gegessen. Der kostbare Rindsknochen, mit dem die Suppe gekocht wurde, wanderte dabei von Haus zu Haus.
„Plente und Knedl, Knedl und Plente“ galt vor hundert Jahren als übliche Speisefolge. Plente, also Polenta, süß oder salzig, und Knödel mit allem, „was halt grad umme war.“ An den Tagen dazwischen gab es Schlipfkrapfen und später auch g’sottene Erdäpfel mit Milch. Die Schlipfkrapfen mit ihrer Erdäpfelfülle sind heute er Inbegriff der Osttiroler Küche und genauso identitätsstiftend wie der Pregler – jener Schnaps, der nur hier aus Äpfeln und Birnen mit größter Sorgfalt gepregelt – also gesiedet – wird. Heute nicht anders als anno dazumal.

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Familie Steiner: Gasthaus Großvenediger

Die weite Anreise durchs Prägratental lohnt sich, am Fuße des Großvenedigers hat sich Birgit Steiner einer sehr regionsverbundenen Küche aus regionalen Zutaten verschrieben, auf Gottfried Steiners Weinbegleitung ist immer Verlass.

Der Berg ruft
Tief drinnen im Prägratental liegt dieses Gasthaus, in dem sich einst die Bergführer mit ihren Kameraden vor einer Tour auf den Großvenediger getroffen haben. Birgit Steiner, die hier „mit Feuereifer und Herzblut“ kocht und ihr Mann, der Wirt und Weinfachmann Gottfried Steiner sind stolz auf ihre Gegend und legen viel Wert auf die gute Zusammenarbeit mit den Lieferanten aus dem Tal und den Jägern, die das Wild bringen. Die Idee für die Kassuppn verdankt die Wirtin ihrer Oma: „Die Rinde vom Käs’ war ihr zu schade zum weggeben, wir haben sie in einer Lade aufgehoben, und wenn genug beisammen war, hat die Oma den Käse mit Wasser aufgesetzt, einen Haufen feiner Kräuter dazugegeben und alles einen ganzen Tag lang ziehen lassen – den Duft und den Geschmack werd’ ich nie vergessen.“

Warum die Daba Geingelan so teuflisch gut schmecken
Daba Geingelan waren bei den Bauern eine beliebe Festtagsnascherei, gegessen wurden die – früher auch nur mit Mandeln gefüllten – Dörrzwetschken mit dem gezuckerten, dicken Rahm, der sich auf stehengelassener Milch bildet. Der Name rührt von einer alten Sage her: Die Daba ist ein Gebiet im Prägrater Umballtal, Geingelan werden ungezogene, aufmüpfige Leute genannt. Der Schafhirte in der Daba war solch ein eigenwilliger Mensch. Er hatte die Angewohnheit, viel und laut zu Fluchen. Zur Strafe zerriss ihn eines Tages der Teufel mitsamt seinen Schafen in tausend Stücke. Als die Leute aus dem Tal hinaufstiegen um den Hirten zu suchen erklang eine Stimme: „Heitle aufn Dachlan, da Kopf in a Kling und die Stimm in an Fachlan“ (Die Haut auf dem Dach, der Kopf in einer Klinge, die Stimme in einem Fach/Lade). Und tatsächlich lag alles in einem Graben verstreut.

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Gasthof Tirolerhof, Hans-Peter Sander

Waltraud Sander ist eine herzliche Gastgeberin, Hans-Peter Sander ein begnadeter Koch – er modernisiert die Küche der Region gekonnt, ist ein kunstsinniger Tüftler und produktverliebter Selbermacher.

Regionalität als Basis
Hans Peter Sander und seine Frau Waltraud sind gebürtige Osttiroler, sie waren in vielen Winkeln der Welt unterwegs, bevor sie vor einigen Jahren wieder nach Dölsach zurückgefunden haben. Die Weltoffenheit merkt man der raffinierten Küche im Tirolerhof an, da landet das Murmele im Glas und ein kleines Ringelblumenknödel keck in der Erdäpfelsuppe.
„Hier hat es früher einfach nicht viel gegeben,“ weiß der hochdekorierte Koch: „man hat gegessen, was da war. Die einfachen Sachen sind meine Basis, auf denen baue ich auf und zeige, was ich kann.“ Den Mais für die Plenten/Polenta brachten die Römer in ihre Stadt Aguntum, und hier im Lienzer Talboden wuchs er auch gut. Plenten gab es meist als Mus, geröstet mit Salat oder mit gestockter Milch zur Marend (Jause) – eine Kombination, die Hans-Peter Sander heute mit gesüßtem Schafjoghurt nachstellt.

Von Wunderöpfeln und Ringelblumen
Nur zögerlich verbreiteten sich die Kartoffeln in der Gegend, denn sie brachten die Kostfolge, die jedem Tag ein Gericht zuschrieb, gehörig durcheinander. 1840 nannte man sie im Pustertal noch skeptisch „Wunderöpfel“, doch bald eroberten sie alle Küchen. Die Osttiroler Kartoffeln wachsen aufgrund der Höhenlage besonders langsam und nahezu schädlingsfrei. Hans-Peter Sander schätzt ihren ganz besonderen Geschmack und kombiniert sie in der traditionsreichen Suppe mit selbst gepflückten Ringelblumen. Schon die Römer wussten nämlich, dass die äußeren Blütenblätter der Calendula officinalis dem Safran geschmacklich Konkurrenz machen.

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Hotel Gasthof Unterwöger, Obertilliach

Das erste Haus im Ort: Familie Lugger bringt hier Tradition mit zeitgemäßem Komfort auf einen Nenner. Die eigene Landwirtschaft ist die Basis der herzhaft regionalen Küche, die hier neben Hotelbetrieb, Hausmusik und allerlei mehr geboten wird.

Der 265 Jahre alte Gasthof Unterwöger trägt jedes Jahr schwer an der weißen Last, Obertilliach ist der schneereichste Ort im Hochpustertal, doch das alte Haus ist glücklicherweise von Grund auf bis unters Dach gemauert – ganz so wie früher nur Schulen und Gasthäuser gebaut wurden. In der wunderbar erhaltenen Jägerstube spürt man den Hang der Gastgeber zur Tradition, behutsam haben sie den Charakter des Hauses bewahrt und überall Fundstücke von früher verteilt, Spielzeug, Heiligenfiguren oder alte Karten der Grafschaft Tirol.
Im Gasthaus und im Hotel helfen alle zusammen: der Landwirt Sepp Lugger und seine Frau Helene, die mit ihrem Bruder die Küchenlinie prägt, die Eltern Lisa und Josef Lugger und die gesamte Familie. 80 Mutterschafe und 12 Kühe versorgen die Küche mit erstklassiger Fleischqualität. Dann, wenn der Gasthof geschlossen und der große Trubel wieder einmal vorbei ist, verzichtet Helene Lugger gern auf Fleisch. „Die Grießnudeln essen wir alle gern. Die Großen gießen Glühwein darüber und die Kinder Himbeersirup, der süße Duft zieht durch die Räume und es wird richtig gemütlich.“

Was die Schlipfkrapfen ausmacht
Die Osttiroler Schlipfkrapfen sind eng verwandt mit Kärntner Kasnudeln und Südtiroler Schlutzkrapfen, aber doch unverwechselbar. Früher wurden am Freitag Abend die Kartoffeln gekocht, denn Samstag war Schlipfkrapfentag. Für die Krapfen formt man einen festen Teig zu einer „langen Nudel“, man walkt einzelne Stücke mit dem Triebl aus und sticht dann Kreise aus. Auf jede Teigscheibe kommt ein Löffel Fülle, dann werden die Kreise auf eine Handfläche gelegt und „z’ammegepitscht“. Nach dem Kochen muss man die Schlipfkrapfen noch „unmachen“: man bestreut sie mit geriebenem Käse und schmälzt sie mit brauner Butter. Helene Lugger erinnert sich an Schilderungen von früher: „Die Frauen sind stundenlang in der Küche gestanden. Eigentlich waren die Schlipfkrapfen ein Arme-Leute-Essen aus Mehl und Kartoffeln. Vom Material her billig aber vom Arbeitsaufwand groß – und vielleicht deshalb so besonders.“

Gannerhof: Josef Mühlmann

In Innervillgraten hat die Familie Mühlmann einen Ort geschaffen, an dem einfach alles stimmt. Wunderbar, wie hier die Tradition behutsam weitergeführt wird, wie man der Region architektonisch und kulinarisch Tribut zollt und wie die heimeligen Stuben und die gepflegte Tischkutur die famose Küche Josef Mühlmanns stimmig unterstreichen.

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Vom Rübenacker in die feine Küche
Der wunderbare Gannerhof in Innervillgraten wurde 1719 als Bauernhof gebaut, seit 1879 ist er im Besitz der Familie Mühlmann. In den 1980er Jahren begann man am Gannerhof für die Gegend und die Zeit unübliche Wege zu gehen: die Region wurde plötzlich miteinbezogen: Die umliegenden Bauern lieferten der Küche Butter und Milch, Beeren, Wild und Fische. Der Schafzüchter Josef Schett steuerte das zarte Fleisch der Osttiroler Berglämmer bei. Monika Mühlmann orientierte sich in der Zubereitung an großen Köchinnen und Köchen, Alois Mühlmann studierte den Wein, aus dem Gasthaus wurde ein Restaurant.
Heute steht der Sohn Josef Mühlmann der Küche mit großer Bedächtigkeit vor und entwickelt das Bodenständige, das rundum wächst und hergestellt wird, auf einzigartige Weise weiter. Das Rübenkraut ist so ein Gericht: Die flachen, weißen Wasserrüben, die früher auf dem Acker hinter jedem Haus wuchsen, kennt heute fast niemand mehr. Am Gannerhof werden sie nach wie vor angebaut und nach der Ernte geputzt und mit einem langen Messer auf einem Brett sehr fein gehackt. Das Kraut kommt mit Salz in große Holzbottiche, wird luftdicht verschlossen und gärt dann im Keller. Mit dem rustikalen Kraut hat man einst die Vitamin-C-Zufuhr im Winter gesichert, heute nimmt Sepp Mühlmann dem Kraut gekonnt die Säure und macht es mit Räucherfisch salonfähig.

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Was es mit dem Osttiroler Berglamm auf sich hat
„Schafe haben im Villgratental eine lange Tradition, sie waren für die Versorgung mit Fleisch und Wolle verantwortlich und Begleiter für viele hundert Jahre.“ Dem umtriebigen Schafzüchter und Direktvermarkter Josef Schett ist zu verdanken, dass so viele Bergschafe heute wieder auf den steilen Wiesen und Almen Landschaftsschutz betreiben und helfen, seltene Kräuter und Blumen zu bewahren. Josef Schett vertreibt in seiner „Villgrater Natur“ alles vom Schaf, Wolle und Dämmstoffe, aber auch Würste und Schinken und Fleisch. Denn im Unterschied zu früher ist Lammfleisch heute sehr begehrt. Josef Schett: „Das Schöpserne (Schaffleisch) ist wirklich gewöhnungsbedürftig, denn mit Eintritt der Geschlechtsreife sinkt der Schmelzpunkt des Fettes und verändert sich der Geschmack. Aber das Lamm ist gewissermaßen das Kalb vom Schaf – es ist eine komplett andere Fleischqualität, von der hier die Rede ist. Die Lämmer würzen sich hier oben auf fast 3000 Höhenmetern selber mit den Kräutern, der Geschmack ist einzigartig.“

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Gasthaus Oberweissen Hittl; Kleinlercher Monika und Maria

In dem rustikalen Gasthaus pflegen die Schwestern Maria und Monika Kleinlercher Osttiroler Gastfreundschaft und traditionelle Kulinarik. Wer Zeit hat und freie Straßen wird auf dem kleinen Umweg über St. Veit mit einem wunderbaren Blick ins Defereggental belohnt.

Knödltag im Defereggental
„Sundåg war Knödltag, Ergedåg war Knödltag und Pfinsdåg war Knödltag“ Montag, Dienstag und Donnerstag standen in Albin Kleinlerchers Elternhaus noch Knödel am Tisch, er erinnert sich noch gut an die alten Zeiten, als der Freitag stets fleischlos war, und am Samstag die Mutter in der Küche die Schlipfkrapfen z’sammepitscht hat. Er hilft immer noch mit beim Servieren, hier in der gemütlichen Stube des Hittl, das er vor 26 Jahren für seine beiden Töchter auf der Oberweissen im Defereggental gebaut hat. Maria Kleinlercher bereitet in der Küche traditionelle Tiroler Gerichte zu, ihre Schwester Monika umsorgt die Gäste mit herzichem Charme, sie lacht: „Die Maria kann gut kochen, und ich kann gut reden.“ Die Tiroler Knödel sind nicht nur Aushängeschild des Hittl, sondern auch Kern der Tiroler Küche. Albin Kleinlercher erzählt: „Knödel haben wir in der Suppe gegessen oder geröstet mit Salat. Einmal Knödelkochen hat für drei Mahlzeiten gereicht, aber so gut wie heute waren sie früher nicht, weil am Ei gespart wurde. Eier waren kostbar, mit den Eiern ist man einkaufen gegangen.“

Eine kulinarische Reportage erschienen in Servus Gute Küche Herbst/Winter 2014. Im Heft gibt’s dazu die Rezepte der einzelnen Restaurants, noch mehr kulinarische Osttiroltipps und professionelle Fotos…

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