2016, Allgemein, Ausflug, Geschichten, Kulinarik
Kommentare 1

Die Wilden am See

 Heute eine lange Lesegeschichte aus dem Burgenland, erschienen in Servus Gute Küche 2/2016, dort mit den viel schöneren Fotos von Christof Wagner und vielen Rezepten…

zur musikalischen Untermalung seien molden & resetarits empfohlen:

Die Wilden am See

Sie lassen Schafe in die Weingärten und geben den Rebstöcken Baldrian. Sie schreiben Botschaften auf Fässer und freuen sich über faule Trauben. Eine Lese-Reise rund um den Neusiedler See, zu Winzern, die alles ein wenig anders machen.

Der Morgennebel hängt noch über den Ruster Weingärten, emsig klappern die Scheren der Lese-Truppe. Geredet wird nicht viel, ab und an ein paar ungarische Brocken, ein Lachen, dann geht es konzentriert weiter. Die Vorgabe ist klar: Eine Beere, die ich nicht essen möchte gehört auch nicht in den Kübel. Durch die exakte Selektion wird ein Maximum an Qualität aus dem, was die Natur anbietet herausgeholt. Oder wie es Ernst Triebaumer ausdrückt: „„Nur wennst was Guads eine tuast, kummt a was Guads ausse.“
30 Jahre sind vergangen, seit der Winzer mit dem legendären Blaufränkisch Mariental Weingeschichte schrieb. Seit acht Jahren ist Ernst Triebaumer in Pension, das hält ihn aber nicht davon ab im Blaumann zwischen den ungarischen Lesehelfern Traube für Traube vom Stock zu schneiden.

bld3Bockige Mitarbeiter
Mittlerweile führen Triebaumers Söhne Gerhard und Herbert den Betrieb, und das durch und durch unkonventionell: biologisch ohne Zertifizierung, mit Photovoltaik am Dach des 300 Jahre alten Hofs und Schafen zwischen den Rebstöcken.
„Die Rebe ist eine Pflanze, die Konkurrenz braucht.“ erklärt Gerhard Triebaumer. Daher ist der Boden zwischen den Weinstöcken mit Gras und Wildkräutern wie Pimpernelle und Schafgarbe begrünt, am Zeilenende steht ein Kirschbaum. Das Landschaftsbild ist der Familie ein großes Anliegen, in den Gärten und am Dachboden des Weinguts brummt es in den Bienenstöcken, „weil es einfach traurig ist, wenn eine Landschaft keine Bienen hat.“
Für die Bodenpflege zwischen den Weinstöcken sind ungewöhnliche Mitarbeiter zuständig: rund 40 Schafe erledigen Bodenpflege, Düngung und Laubarbeit. Die Tiere knabbern Seitentriebe ubld4nd die unteren Blätter weg, dabei dezimieren sie auch Schädlinge, indem sie etwa das Gelege des Frostspanners fressen. Sobald sich die Trauben des Syrah Hammelberg färben schmecken sie auch den Schafen, die dann rasch auf die Sommerweide ausquartiert werden.
Jetzt sind wieder die Zweibeiner an der Reihe, und versuchen so gutes Material in den Keller zu bringen, dass dort kaum mehr Eingriffe nötig sind. Ob es ein Jahr mit viel Regen, Trockenheit oder Frost war macht Gerhard Triebaumer wenig Sorgen. „In einem einfachen Jahrgang gibt es viele gute Weine. Umso schwieriger das Jahr ist, umso größer ist die Herausforderung, umso mehr fällt auf, wenn man Weine mit Tiefgang und Charakter hat, die lange haltbar sind.“

Mittagspause
Während im Weingarten gelesen wird holt Margarethe Triebaumer daheim den fertigen Nussstrudel aus dem übergroßen Backrohr. Während der Lese versorgt die gute Seele des Weinguts die rund 30 Lesehelfer, und das auf eine Art, die so manchen eine Karriere mit Schere in Erwägung ziehen lässt.
„Sagen wir so: ich koch halt gern,“ lacht sie bescheiden und erzählt von Faschiertem Braten und Goloschwarer Kraut. Von Geselchtem mit Braterdäpfeln und Kren, Schafspörkölt und Kümmelbraten. Die dampfenden Töpfe bringt Margarethe Triebaumer dann zu den Lesearbeitern, die rasch ihre Teller und ihr Besteck auspacken. Das gute Essen hebt die Stimmung, und das ist bei acht Stunden konzentrierter Lese nicht unwichtig: „Die Leute essen den ganzen Tag Trauben, da freut man sich auf etwas Kräftiges. Ich bring auch immer eine Nachspeise und Käse mit, übrig bleibt selten was.“
Die meisten Produkte in der Triebaumer-Küche kommen aus dem Familienverband. Bei den Triebaumers geht es nämlich nicht nur um wegweisende Blaufränkisch-Jahrgänge oder grandiosen Ruster Ausbruch, sondern um viel mehr. Um die Renaissance der gemischten Landwirtschaft. Um ökologische Zusammenhänge. Ums große Ganze. Margarethe Triebaumer lacht: „Wir denken halt viel nach.“

Gut Oggau
Etwas weiter nördlich liegt das Weingut von Eduard und Stephanie Tscheppe-Eselböck in der verträumten Ortschaft Oggau. Wer durch die große, schwere Hoftür der typischen Häuserzeile tritt wird sofort von der stimmigen Heurigen-Atmosphäre in den Bann gezogen. Zwischen dicken Mauern, altem Holz, modernen Möbeln, Stoffen, Blumen und Kerzen schmecken Feuerfleck und wunderbares Brot mit Aufstrichen, Schinken und Speck. Mit etwas Glück ist Josephine mit am Tisch. Oder Timotheus.
bld5Die bio-dynamischen Weine des Winzerpaares sind markante Persönlichkeiten, die Flaschen tragen Etiketten mit Gesichtern und Namen wie Joschuari oder Mechthild. Charaktervolle, authentische, regionstypische Weine, die in Summe eine spannende Dynastie ergeben.
Als das Winzerpaar das brachliegende Weingut vor neun Jahren übernommen hat, war bald klar, dass es einen anderen Weg als den üblichen, geradlinigen, modernen gehen würde. Die Weingärten wurden mit den alten Sorten, die hier früher angebaut wurden, bepflanzt und werden nach Demeter-Richtlinien bewirtschaftet, schwierige Spontanvergärung inklusive. Eduard Tscheppe erklärt: „Für uns gab es keine Alternative.“

Göttin Demeter
Die bio-dynamisch kultivierten Pflanzen sind durch die wenigen Eingriffe robuster und überstehen auch schwierige Zeiten besser. Stephanie erklärt: „Der Stock weiß, er muss sich anstrengen. Und wenn man ihn lässt balanciert er Zucker und Säure ganz von selbst aus.“
Die drei Frostnächte Anfang Mai haben freilich auch Gut Oggau getroffen, heuer wird wohl nur ein Drittel der normalen Ernte eingefahren. Das war einfach zu viel, sagt Stephanie Tscheppe-Eselböck und schildert, wie sie die Reben im Nachhinein mit Baldrian beruhigt hat, um sie schneller aus ihrer Schockstarre zu befreien.
Demeter-Winzer versorgen ihre Böden mit natürlichem Kompost, lassen das Grün zwischen den Rebstöcken sprießen und setzen auf natürliche Mittel um die Pflanzen- und Naturkräfte zu unterstützen. Hornmistpräparate etwa wirken über die Lebenskräfte vom Boden, Hornkiesel aktivieren die kosmischen Kräfte.
Viel Wissen und Erfahrung ist nötig für diese Art der Bewirtschaftung, viel Handarbeit, und auch viel Vertrauen in die Natur. Aber es zahlt sich aus. Stephanie Tscheppe-Eselböck: „Durch diesen anderen Zugang erzählen unsere Weine unglaublich viel über ihre Herkunft und über das ganze Jahr im Weingarten, sie haben Ecken, Kanten und Persönlichkeit.“

bgld1Purbacher Vielfalt
Im Hügelland rund um Purbach schreitet Birgit Braunstein durch die Reihen ihrer Lieblingslage Goldberg. Die Böden zwischen Leithaberg und Neusiedler See sind wie für den Wein gemacht: Schiefer und Muschelkalk schaffen eine Mineralität, die für geradlinige, kernige Weine sorgt. Dazu ermöglichen die Temperaturunterschiede zwischen See und Wald eine unglaubliche Vielfalt, je nach Lage geben sie den Weißen Frische und Säure und den Roten eine tiefe, fruchtige Seele.
Die Purbacher Winzerin schaut, wie es der Lesemannschaft geht, zupft faulige Beeren ab und kostet immer wieder von den Zweigelt-Trauben. Dass aus diesen kleinen Beeren die vielleicht besten Rotweine Österreichs – klar, mineralisch, elegant und charmant – werden, liegt an Birgit Braunsteins Wein-Können, und ein bisschen auch an ihrer besonderen Herangehensweise.

Magna Mater
Der Weg vom Weingarten zum Hof in Purbach führt durch das Türkentor der mittelalterlichen Stadtmauer, die wie Teile des Weinguts um 1630 errichtet wurde. Hier hat der Großvater den Wein noch im Gebinde an den Wirt verkauft. Heute ist Birgits älterer Bruder Paul Braunstein der Wirt, in seinem Gasthaus Pauli’s Stuben tauscht sich die Familie täglich beim Mittagessen aus.
bld620 Jahre lang macht Birgit Braunstein nun schon ihren eigenen Wein, seit 2006 wirtschaftet sie biologisch, seit 2012 bio-dynamisch. Die Winzerin schwärmt: „Die Rebe fühlt sich wohl, diese Vitalität, Lebendigkeit, Zufriedenheit spürt man im Wein.“
„Forschungs- und Entwicklungsabteilung“ nennt die Winzerin ihre Amphoren, die sie im Kräutergarten vergraben hat. Der völlig naturbelassene, ungeschwefelte Amphorenwein wird streng limitiert als Magna Mater-Wein abgefüllt.
Der Großteil von Birgit Braunsteins Weinen – Zweigelt, Blaufränkisch, Oxhoft, Merlot, St. Laurent, Chardonnay, Welschriesling und noch viel mehr – reift freilich im modernen Weinkeller. Hier hat die Winzerin mit ihrer spanischen Kellermeisterin Adriana Gonzalez kleine Botschaften auf die Fässer geschrieben. Frieden steht da, Achtsamkeit oder Freude. „Ich kann nicht garantieren, dass der Wein das wirklich transportiert,“ sagt Birgit Braunstein, „aber es lässt alle, die in den Keller kommen lächeln – und allein diese positive Energie tut ihm und uns gut.“

Zur Dankbarkeit
Am Ostufer des Neusiedler Sees ist Josef Lentsch Hausherr im Gasthaus „Zur Dankbarkeit“. Der Podersdorfer Wirt und Winzer erzählt gern von seinem Großvater, der schon als kleiner Pepperl gewusst hat, dass er einmal Wirt wird. Und sich nach vielen Stolpersteinen dieses Haus, das bis 1852 ein Wirtschaftshof der Zisterziensermönche war, gekauft und 1934 ein Gasthaus daraus gemacht hat. Seine Frau Veronika brachte den Weingarten mit in die Ehe. „So hats ang’fangt“ lacht Lentsch, dessen Vater schon ein Bewusstsein für Regionalität und traditionelle Rezepte entwickelt hat, als andernorts Schnitzel Hawaii und Tiefkühlgemüse angesagt waren.
Heute spiegelt die Karte in der Dankbarkeit die pannonische Küche in all ihren Facetten wieder. „Die lebenslustigen Ungarn und Kroaten, die Eisenstädter und Mattersburger Juden, die Heanzen und die nahen Wiener – diese bunte, lebendige Mischung macht unsere Küche aus“, schwärmt Josef Lentsch.
img_5069Dabei legt er viel Wert darauf, dass sich die Küche den Bedürfnissen der Menschen anpasst und nicht stehen bleibt. Als Wirt habe er eine gewisse Verantwortung, er schaut, dass neben Mangalitzaschwein und Steppenrind auch immer fleischlose Gerichte auf der Karte stehen. Schwört auf Wels und Zander aus dem Neusiedler See. Kauft die Getränke lieber kleinen Produzenten als großen Konzernen ab. Und macht selbst, was geht. So wie früher, als es hier noch Hendln und Schweine gab, als Erdäpfel, Rüben und Pedasü noch im Gemüsekeller gelagert wurden, neben dem Sauerkraut im Holzfass.

Die Burgunder-Familie
Die ganze Familie ist in das Unternehmen Lentsch eingebunden. Josefs Frau Heidi betreibt nebenan mit den Töchtern Bianca und Christine die Podersdorfer Weinstuben. Markus unterstützt den Vater im Service, Christine ist auch im Weinbau aktiv.
Alles spielt zusammen, und so wundert es nicht, dass die Lentsch-Weine gute Essensbegleiter sind. Wenngleich ungewöhnliche: Josef Lentsch hat sich neben Süßweinen auf Burgunder spezialisiert, schließlich brachten schon die Zisterzienser im 13. Jahrhundert Blauburgunder (Pino Noir) und Grauburgunder (Pinot Gris) in die Gegend. Die Lentsch’schen Burgunder werden spät geschwefelt und liegen lange auf der Maische. Sie kommen ein wenig aus der Nische, es sind hintergründige, meditative Weine, die sich nicht anbiedern. Und doch kraftvoll überzeugen, wenn ihr Moment gekommen ist.

Karger Boden, süßer Wein
Josef Lentsch ist ein Winzer mit wenig eigenen Weingärten, er lässt mehrere Weinbauern nach seinen Vorstellungen arbeiten und zahlt nach Fläche, nicht nach Ertrag, um die Qualität zu sichern.
Ein paar eigene sind es aber doch, jener etwa zwischen Podersdorf und Hölle, wie die Gegend bei Illmitz genannt wird. Hier in der Ried Schrammel wurzeln seit 17 Jahren die Weinstöcke für seine Prädikatsweine.
Vogelschoda sagt Josef Lentsch und scharrt mit seiner Schuhspitze im hellen, feinen Weingarten-Sand, der an die Streu im Vogelkäfig erinnert. Mitten im Nationalpark Seewinkel, zwischen Steppensee, Feuchtwiesen und Salzlacken entwickeln Welschriesling- und Weißburgunder in diesem Vogelschotter ein klares, harmonisches Fruchtaroma. Dazu sorgt die warm-feuchte Herbstluft dafür, dass sich auf den reifen Trauben die begehrte Edelfäule Botrytis cinerea ausbreitet.
Josef Lentsch: „Jetzt bei der Lese zeigt sich die Fürsorge, die man den Trauben das Jahr über geschenkt hat. Was jetzt nicht da ist, kann man nicht dazu machen.“ Was da ist, wird im Familienverbund von Hand gelesen und streng selektioniert. Dank der Botrytis ist das Wasser in der Beere weggetrocknet. Übrig geblieben ist etwas Einzigartiges, ein sehr konzentriertes, süßes Etwas. Jeder Schluck seiner Trockenbeerenauslese hat es in sich.

Weingut Triebaumer
Raiffeisenstrasse 9, 7071 Rust
www.triebaumer.com

Gut Oggau
Hauptstraße 31, 7063 Oggau
www.gutoggau.com

Weingut Birgit Braunstein
Hauptgasse 18, 7083 Purbach
www.weingut-braunstein.at

Paulis Stuben
Fellnergasse 1a, 7083 Purbach
www.braunstein.at

Gasthaus & Weinbau Zur Dankbarkeit
Hauptstraße 39, 7141 Podersdorf
www.dankbarkeit.at

1 Kommentare

  1. Pingback: die gute küche im herbst – Katharina Kunz

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

code