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Eine Nacht beim Bäcker Kornradl

Für das neue Servusmagazin war ich beim Kornradl, einem einzigartigen Vollkorn-Bäcker in Wien.

Brot ist Leben

In einem Wiener Durchhaus liegt still und versteckt die Bäckerei Kornradl. Hier bäckt Dieter Smolle mit frisch gemahlenem Vollkornmehl, Bedächtigkeit und seiner Hände Kraft.

Die Stadt schläft noch tief und fest, wenn Dieter Smolle gegen 2 Uhr in seiner Backstube im Durchhaus zwischen Lerchenfelderstraße und Neustiftgasse das Licht aufdreht. Er heizt den Backofen vor, holt die Waage und eine große Holzschüssel mit Mehl aus dem Regal. Unter dem mächtigen Tisch lagern Säcke mit rund 800 kg Waldviertler Demeter-Getreide. Das ist dem Bio-Bäcker wichtig: „Ich leg Wert darauf, dass die Herkunft regional und alles offensichtlich ist.“
Bald rieselt das feine Dinkelmehl warm und weich aus der ratternden Osttiroler Mühle. „Ich verwende nur volles Korn, samt Keimling und Enzymen, da ist alles enthalten, das lebt. Brot muss g’schmackig sein und nahrhaft, auf gute Art Energie liefern. Mein Brot ist Leben.“
Handwarm kommt das frische Mehl mit Vorteig und Wasser in die Knetmaschine für das erste Brot des Tages, das herzhafte Dinkelbrot, dezent gewürzt mit wildem Thymian.

Der geborene Kärntner hat erst spät seine Leidenschaft für gutes Brot zum Beruf gemacht, bei der Meisterprüfung war er 32 Jahre alt. „Damals war ich der Spinner, der Wahnsinnige, alle haben gefragt, wie ich auf sowas komme.“
Lächelnd wirkt Dieter Smolle den Brotteig, lässt ihn rasten und schlägt ihn erneut zusammen, auf dass er sich entfalte und entwickle, bevor er gewogen wird und in die ausgebutterten Kastenformen kommt.
Er erzählt, wie er vor 17 Jahren am Weihnachtsmarkt vor der Karlskirche Brot verkauft hat. Kurz darauf hat ihm ein Freund den 40 m2 kleinen Raum in dem schönen Durchhaus gezeigt, so ist er damals in Wien hängengeblieben.
Die Bio-Vollkorn-Nische stand nie in Frage: „Ich will ein gesundes Brot. Ohne Chemie, ohne Backhilfsmittel, ein richtiges Lebensmittel eben. Eines, das schmeckt und guttut, mir und den anderen.“

Backen als Brotberuf
Für das Kleingebäck aus Dinkel-Weizenteig schleift Dieter Smolle beidhändig Teigkugeln, faltet Semmeln, schlingt Brezen und stellt die verbeulten Bleche zum Rasten auf den Ofen. Mit einer Holzbürste kehrt er Kümmel vom Tisch. Ofentür auf, Semmeln raus, Mohnflesserl rein, Ofentür zu. Kein Handgriff ins Leere, keiner zu viel. „Uhr brauche ich keine. Ich weiß, wann es Zeit ist.“
Das Dinkelbrot ist in der Zwischenzeit aufgegangen und kommt bei 300 °C in den Ofen, damit es sich hebt, dann wird die Temperatur reduziert. Jetzt noch Sonnenblumen- und Kürbiskernbrot, mit dem Roggenbrot kommt er damit auf vier Brotsorten. Individuelle Würzung oder besonderes Getreide gibt es nur auf Vorbestellung. „Ein größeres Sortiment geht sich nicht aus, das kann ich nicht bewältigen.“ Seine Mitarbeiterin Daniela hilft beim Verkaufen, Mohnquetschen oder Nussmahlen. „Das ist gut, aber genug. Es ginge mir nicht besser, wenn der Betrieb größer wäre.“
Kurz vor sechs Uhr ist es Zeit, die Jalousien hochzuziehen und die Kassa startklar zu machen. Der Bäcker schiebt sein Fahrrad aus der Backstube in den dunklen Hof hinaus, den Anhänger mit den Holzkisten für Lieferungen hinterher. Auto braucht er keines. „Es entspricht nicht meiner Philosophie, dass ich Semmeln nach Klosterneuburg bring und ein Klosterneuburger bringt Semmeln nach Wien.“

 

Alles zu seiner Zeit

Das Roggenbrot ist als letztes an der Reihe, weil der Teig klebrig ist und die Reinigung danach mühsam. Zehn Kilo frisch gemahlenes Mehl, fünf Kilo Vorteig und frisches Granderwasser kommen in die Knetmaschine. Später dann noch Salz, Kümmel, Fenchel, Koriander. „Die Gewürze könnte ich mitmahle aber ich mag es, wenn man draufbeißt.“
Sein Brot bäckt Dieter Smolle nur mit Sauerteig, der macht es haltbarer und bekömmlicher als Hefe. Vor jedem Arbeitstag wird ein neuer Vorteig angerührt, wenn der aufgebraucht ist, muss man wieder 20 Stunden warten. Schneller geht es nicht.
Ab und an wirft Dieter Smolle einen Blick in die Knetmaschine und schüttet Wasser zum Teig. Der erste Kunde holt sich eine Topfengolatsche als Reiseproviant.
Der Bäcker klopft das abgekühlte Dinkelbrot aus den Formen, wickelt die bestellten Baguettes in Papier und schlichtet Weckerln auf der freien Tischhälfte auf.
Jetzt wird der Roggenteig geknetet und in Ruhe gelassen, wieder durchgewirkt, gewogen und in Gärkörbe gefüllt. Für einen Gärschrank ist in der Einraumbäckerei kein Platz. „Ich nehm’ halt Tücher und deck die Simperl ab, wie anno dazumal.“ Im Sommer sei es kritisch, wenn es warm ist altert der Teig schneller und verliert seine Spannkraft. „Da merke ich dann, dass es Zeit ist, Urlaub zu machen.“ Im August ist die Bäckerei geschlossen.

Im Hof geht es immer geschäftiger zu, eine Stammkundin kauft Krapfen, ein Passant nimmt ein Käsestangerl mit. Einmal schaltet Dieter Smolle noch die Mühle ein um das Mehl für den nächsten Vorteig zu mahlen.
Kurz nach neun Uhr stürzt er das aufgegangene Roggenbrot vom Simperl auf das Backbrett, ritzt die Laibe ein und schießt sie mit einem Ruck in den Ofen. In 40 Minuten wird das fertige Brot duftend wieder herauskommen, ganz so, wie Dieter Smolle es am liebsten mag: „Gut durchgebacken, biologisch, saftig und sättigend.“

Bäckerei Kornradl, Lerchenfelderstraße 13, 1070 Wien, Tel.: 01/ 92 46 444
www.kornradl.at

 

 

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